Am Donnerstag herrschte bereits Hochbetrieb auf der Wettkampffläche der diesjährigen Hallenradsport-Weltmeisterschaft in Basel. Seit den frühen Morgenstunden heizten die Akteure im Radball und Kunstradfahren das verlegte Parkett ein. Alle wollten sich in Ruhe an das große Hallenstadion, die Basler St. Jakobshalle gewöhnen. Die steil aufsteigenden Zuschauertribünen in schwarz gehalten – für viele WM-Neulinge schon im leeren Zustand eine beeindruckende Kulisse.
Und von der WM-Premiere sind so einige. Wie etwa die beiden Vierer-Mannschaften aus Deutschland und aus der Schweiz. Für die Gastgeber treten die frisch gebackenen schweizer Meisterinnen Stefanie Moos, Vanessa Hotz, Saskia Grob und Elena Fischer aus Baar (Foto/Quelle: facebook.com/kunstradkaderschweiz) an. Und haben dabei ein schweres Erbe vor sich.
Ihre Vorgängerinnen vom RV Sirnach holten seit 2014 bis zu ihrem Rücktritt 2018 dreimal Gold und zweimal Silber. „Das ist natürlich ein Highlight für uns alle. Wir wollen das Erlebnis WM einfach genießen und gute Leistungen vor unserem Heimpublikum zeigen“, sagte Stefanie Moos im Gespräch mit der Luzerner Zeitung. „Wenn wir an die guten und konstanten Leistungen der Saison anknüpfen können, wird auch das Ergebnis positiv sein“, meint indes Vanessa Hotz.
Das Minimalziel der Baarer Frauen ist eine Medaille. Aber sie sind Titelaspiranten, gehen mit dem höchsten Kürwert an den Start und zeigten am Donnerstagabend bei ihrer Generalprobe vor den UCI-Wertungsrichtern ihr Potenzial: 216,65 Punkte
Für das deutsche Quartett vom VfH Worms ist hingegen alleine schon die WM-Teilnahme neben dem nationalen Titel 2019 der absolute Karrierehöhepunkt. Annika Furch, Nora Erbenich, Sabrina Born und Hannah Rohrwick lieferten in der deutschen WM-Qualifikation einen packenden Zweikampf mit den WM-Dauerstartern des RSV Steinhöring. „Bei unserer WM-Premiere wollen wir einfach jeden Moment auf der Fläche genießen. Wir sind bereit, es kann losgehen“, ist sich das Team einig.
Für Trainer Jürgen Born, eine Koryphäe im Mannschaftskunstradfahren und sein Team wird ein Traum real. Und gleichzeitig ist dies der letzte Akt. Denn sowohl Borns Schützlinge, als auch er selbst, werden nach der WM die sportliche Karriere auf dem Höhepunkt beenden.
Ebenso ein Wörtchen um die Titelvergabe mitreden wollen Lukas und Lea Schneider Leonie Huber und Julia Wetzel aus Österreich. Die WM-Dritten des vergangenen Jahres sind das erfahrenste Team im Wettbewerb und auf Schlagdistanz.
Eine absolute Premiere wird der Auftritt der Mannschaft aus Hongkong. Erstmals überhaupt in der WM-Geschichte tritt ein asiatisches Team in dieser Disziplin an. Da die Slowakei erstmals seit vielen Jahren keinen Vierer stellt, gibt es wieder nur einen Durchgang, der gleich als Final-4 ausgefahren wird.
Einen sportlichen Kraftakt haben die favorisierten Zweier-Paare der offenen Klasse vor sich. Die Titelverteidiger Serafin Schefold und Max Hanselmann (RV Öhringen) und die vierfachen UCI-Champions Benedikt und André Bugner (Klein-Winternheim) haben eine schmerzhafte Zeit hinter sich.
Während die Bugner-Brüder aus Rheinhessen nach einem Jahr Verletzungsunterbrechung die WM in Basel als „die Krönung unseres Comebacks“ bezeichnen und am Ort ihres ersten Weltmeistertitels (2013) die Atmosphäre aufsaugen sowie ihre beste Leistung zeigen wollen, signalisieren Schefold/Hanselmann leicht zurückhaltende Ambitionen.
„Durch zwei Verletzungen in diesem Jahr sind wir leider nicht ganz bei 100 Prozent unserer Leistungsfähigkeit und haben auch weniger Punkte aufgestellt als ursprünglich geplant war. Trotzdem blicken optimistisch auf die WM.“ Dennoch hallten die beiden fest: „Das Ziel ist klar die Titelverteidigung, auch wenn wir mit Bugners und den Schweizern keine einfache WM vor uns haben. Wir freuen uns auf Basel.“
Die Schweizer, das sind Lukas Burri und Fabienne Hammerschmidt. 2018 sprengten sie die gewohnte deutsche Doppelspitze und holten sich Silber. Nun sind sie mit ihrem Kürwert auf Augenhöhe und bereit für den Titel im eigenen Land. Es wäre der erste nicht-deutsche Sieg in dieser Disziplin.
Ebenso als Medaillenkandidaten gelten die Österreicher Marcel Schnetzer und Katharina Kühne, die mit etwas Abstand das finale Rennen um den WM-Titel eröffnen. 2016 gewann Schnetzer mit seiner ehemaligen Partnerin Jana Latzer.
Ein rein deutsches Duell um den WM-Sieg wird es wohl in allen weiteren Kunstrad-Disziplinen geben. Im Einer-Frauen duellieren sich die Weltmeisterin von 2017, Milena Slupina (Bernlohe) und die zweifache Vize-Weltmeisterin sowie amtierende Europameisterin Viola Brand (Unterweissach) um das Regenbogentrikot.
„So fahren, wie ich es kann, zufrieden vom Rad steigen und damit das Bestmögliche erreichen“, geht Slupina ihre dritte WM an. „Die ‚Grundform‘ – dass ich mein Programm beherrsche – passt. Nun ist Tagesform wichtig und die wird sich dann zeigen.“
Viola Brand geht ebenso selbstbewusst ans Werk: „Ich bin fit und möchte zeigen, wofür ich trainiert habe.“
Aber auch Lorena Schneider (Österreich) ist ein Überraschungserfolg zuzutrauen. Sie ist zunächst auf Bronze programmiert, um das auch Saskia Schäffler und Laura Bruder (beide SUI), Jana Latzer (AUT) und Giuliana Zübner (ITA) in Frage kommen, sollten sie sich fürs Final-4 qualifizieren.
Im Zweier Frauen gehen die Schwestern Lena und Lisa Bringsken (Böhl-Iggelheim) als Titelverteidigerinnen ins Rennen. Basel, das habe die beiden für sich mit ins Motto „das… Beste Aus Seiner Eigenen Leistung … holen“ übertragen.
Ihre Dauerrivalinnen kommen aus dem gleichen Land: Caroline Wurth und Sophie-Marie Nattmann (Gutach) haben einen leichten Punktevorteil und wollen im zweiten Anlauf das Gold erobern. „Obwohl wir keine optimale Vorbereitung hatten, konnten wir bei den letzten Wettkämpfen zeigen, dass wir unser Programm können“, sagen die Baden-Württembergerinnen. „Genau das möchten wir auch in Basel zeigen, um hoffentlich ganz oben stehen zu dürfen.“
Ebenso spannend die Entscheidung um Bronze. Sofern die deutschen Paare weitgehend fehlerfrei bleiben, bewerben sich für Rang die schweizer Lokalmatadorinnen Steinemann/Christinger und WM-Dritten des Vorjahres, Rosa Kopf/Svenja Bachmann (Österreich).
Kein weg aber wird im Einer Männer an einem Sportler vorbeiführen. Lukas Kohl (Kirchehrenbach), seit seinem ersten WM-Sieg 2016 gänzlich ungeschlagen, brillierte in dieser Saison gleich mit drei neuen Weltrekorden und dem zehnfachen Drehsprung. Den wünschen sich die Fans selbstverständlich auch in der Basler WM-Arena. „Mit meinen Weltrekorden habe ich mir natürlich Druck aufgebaut, aber damit kann ich umgehen.“
Der Champion selbst, der in den vergangenen Wochen erhöhten Medienrummel um sich verspürt und in Deutschland zur Wahl Sportler des Jahres nominiert ist, zeigt sich gewohnt bodenständig, signalisiert aber klares Selbstbewusstsein: „Ich fühle mich top vorbereitet und bin richtig heiß darauf endlich in Basel antreten zu dürfen. Ich will den Weltmeistertitel nicht verteidigen. Ich will den Adler mit Stolz auf der Brust tragen und den Weltmeistertitel erneut gewinnen!“
Selbst wenn Vize-Europameister Marcel Jüngling (Dornheim) bei seinem WM-Debüt die Kür seines Lebens fährt, er muss auf Fehler von Kohl lauern. Entsprechend realistisch schätzt er seine Chancen ein und sagt: „Ich blicke zuversichtlich auf die WM und habe das klare Ziel, in Basel eine Medaille zu gewinnen.“
Und wer kommt dahinter: Wong-Chin To aus Hongkong ist als drittbester Starter immerhin schon fünfmal mit WM-Bronze dekoriert, liebäugelt angesichts Jünglings vermeintlichen Premierenfieber mit Silber. Doch hinter ihm lauert der Schweizer Lukas Burri, immerhin Vize-Weltmeister im Zweier und mit einheimischen Fans im Rücken. Währenddessen wäre für den Ungarn Martin Schön die Qualifikation ins Final-4 die Erfüllung eines Traumes.
Im Radball wird ein Protagonist über seine Schmerzgrenzen hinaus fighten. Markus Bröll bestreitet seine letzte WM an der Seite seines kongenialen Partners Patrick Schnetzer. Das Höchster Gespann will zusammen Titel Nummer sechs holen. Danach ist Schluss für Familienvater Markus.
Doch zwei Teams, Deutschland und die Schweiz, wollen den beiden diesen Erfolg streitig machen. Die Cousins Bernd und Gerhard Mlady (Stein) haben nochmals an ihrer Fitness gearbeitet und die Brüder Severin und Benjamin Waibel (Pfungen) weisen eine aufsteigende Formkurve auf – stehen allerdings vor ihrer WM-Premiere.
Interessant wird das Auftreten des Bruderpaares Quentin und Mathias Seyfried. 2018 waren die Franzosen noch knapp dem Abstieg in die B-Gruppe entronnen. Zwischenzeitlich gewann Mathias mit Thomas Leclerc die U23-Europameisterschaft. Womöglich ein Motivationsschub für den nächsten Schritt in der Entwicklung.
Währenddessen sind die tschechischen Haudegen Jiri Hrdlicka und Pavel Loskot immer für eine Überraschung gut. Doch der bekanntlich harte WM-Modus führt die Oldies an die physischen Grenzen. Und für die Belgier Brecht Damen und Niels Dirikx gilt es, nach ihrer besten WM-Platzierung (Rang vier) im Vorjahr bei ihrem Heimspiel in Gent, diese Form zu bestätigen.
Basel war bereits 2013 Austragungsort der Hallenradsport-Weltmeisterschaften. Mit der 2018 modernisierten St.Jakobshalle, hierzulande einer der größten und modernsten Multifunktionshallen, ist der Veranstaltungsort Basel bestens für einen solchen Sportanlass geeignet.
Neben dem sportlichen Teil wird den Besucherinnen und Besuchern einiges geboten. Am Freitag- und am Samstagabend finden in der Eventhalle Hallenradsport-Partys statt, welche auch aufgrund des Auftritts der Partyband „Lollies“ ein Höhepunkt sind. (st)
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