Die Siegerehrungsfotos von den aktuellen Hallenradsport-Wettkämpfen sind derzeit eher ungewöhnlich. Kunstradfahrer in kurzen Hosen sieht man dort selten. Normalerweise wird die Hauptsaison im Herbst und Winter durchgeführt.
Die Radsport-Weltmeisterschaft in Glasgow mit fast allen UCI-WM-Diszpilinen hat den Terminkalender 2023 allerdings maßgeblich verändert. So duellieren sich die Radartisten bereits seit Beginn des Sommers.
Schaut man im Kunstradfahren auf die Fernduelle der führenden Nationen, ist Deutschland in fast allen Disziplinen auf Höchstniveau unterwegs. Der Nationaltrainer Dieter Maute kann es sich erlauben, die amtierende Weltmeisterin Jana Pfann (Bruckmühl) und den Vize-Weltmeister Marcel Jüngling (Dornheim) nur als Ersatz zu nominieren. Beide Edelreservisten hatten in der WM-Qualifikation knapp das Nachsehen. Weltmeister im Kunstradfahren haben kein persönliches Startrecht und müssen sich jedes Jahr aufs Neue für eine WM qualifizieren.
„Die knappen Entscheidungen zeigen, wie groß die Dichte im deutschen Hallenradsport ist,“ sagt Bundestrainer Dieter Maute. Die Erwartungen an das deutsche Team sind hoch. „Wir treten in allen Disziplinen als Favoriten an.”
Aber ein Selbstläufer ist diese WM für Deutschland aber nicht. „Wir haben wenigstens in drei Disziplinen ernsthafte Konkurrenz,“ sagt Maute, nennt den Vierer, der sich gegen die starke Schweiz wehren muss, aber auch das Zweier-Kunstfahren der Frauen. „Die Titelverteidiger Marquardt/Vordermeier haben bei der DM als Dritte mit 120 Punkten noch Luft nach oben,“ findet Maute.
Und selbst im Einer der Männer, wo alles andere als eine erfolgreiche Titelverteidigung von Lukas Kohl (Kirchehrenbach) eine Überraschung wäre, gibt es harte Konkurrenz. „Der Spanier Emilio Arellano kann auch über 200 Punkte fahren.“ Philipp-Thies Rapp (Tailfingen), der sich den zweiten deutschen Startplatz sicherte, ist ebenfalls fähig, diese Marke zu überbieten.
„Runterfallen, aufstehen, Krone richten, weiterfahren“, kommentierte unterdessen Jana Pfann ihr knappes Scheitern auf Instagram. „Es lief nicht wie erhofft. Ich bin sehr unzufrieden und auch ziemlich enttäuscht“, gab die 20-Jährige zu. Zu Beginn der German-Masters-Serie hatte sie gesundheitlich angeschlagen entscheidende Punkte liegen lassen.
Ihre Aufholjagd bis zur DM wurde nicht belohnt. Am Ende fehlten 1,45 Punkte auf die zweitplatzierte Lara Füller (Poppenweiler). „Ich freue mich aber, ab morgen wieder Vollgas zu geben und bin zuversichtlich für die nächste Saison“, schaut Pfann positiv nach vorn. Dann steht die WM in Bremen im eigenen Land an.
Lara Füller, Vizeweltmeisterin von 2021, war bei den Deutschen hingegen auf Wolke sieben. Nach gelungener WM-Qualifikation in der Vorrunde, sicherte sie sich im Finale das Meistertrikot mit Goldmedaille. Vizemeisterin wurde Jana Pfann vor ihrer Vereinskollegin Ramona Dandl. Letztere wird Deutschland als Top-gesetzte Starterin vertreten und ist nach WM-Silber 2022 zusammen mit Lara Füller die Titelfavoritin.
Konkurrenz sind vor allem die aktuelle WM-Dritte Schweizerin Alessa Hotz (Baar) und die WM-Vierte von 2022, Lorena Schneider aus Höchst in Österreich. Beide haben erneut in ihrem Land den nationalen Titel gewonnen und die Qualifikation souverän für sich entschieden.
Kurioses ist auch im Zweier der Frauen zu verzeichnen. Da bleiben die neuen deutschen Meisterinnen Antonia Bärk und Laura Bruder gleich ganz daheim. Das Duo geht erst seit diesem Jahr gemeinsam an den Start und hätte sich auf Anhieb ein WM-Ticket sichern können. Doch Laura Bruder war früher für die Schweiz unterwegs. 2019 war sie im Einzel letztmals aktiv gewesen und belegte bei der WM Rang neun.
Dennoch: „Aufgrund des Nationenwechsels von Laura sind wir dieses Jahr für internationale Wettkämpfe gesperrt und dürfen somit nicht nach Glasgow“, erklärt Unterfrau Antonia Bärk, die 2022 zusammen mit Henny Kirst Vize-Europameisterin wurde. „Dass eine Sperre vorliegt, hatte uns die UCI bereits Ende vergangenen Jahres mitgeteilt. Wir haben unsere Anfänge deswegen aber nicht auf Eis legen wollen“, sagt Antonia. Die Sperre sei zwar blöd, „aber da gehen wir gemeinsam durch.“ 2024 wollen sie dann auf internationalem Parkett nach dem Regenbogentrikot greifen.
Die amtierenden Weltmeisterinnen, Helen Vordermeier und Selina Marquardt (Oberjesingen/Stuttgart), mussten sich bei der DM mit Rang drei begnügen. Ihr WM-Ticket hatten sie bereits sicher und die Vorrunde ebenfalls klar gewonnen. Doch ihr Finaldurchgang misslang und sie mussten sich mit einem hauchdünnen Rückstand hinter dem zweiten deutschen WM-Paar Annice Niedermayer und Jessie Hasmüller (Denkendorf/Magstadt) auf Rang drei einreihen.
In Österreich bewiesen die alten und neuen Meisterinnen Rosa Kopf/ Svenja Bachmann (Sulz), dass sie sich langsam zu Titelanwärterinnen entwickeln. Mit ihrer neuen Kür sind sie auf Augenhöhe mit den deutschen Paaren. Nach zuletzt viermal WM-Bronze in Folge, streben die jungen Österreicherinnen nun nach einer höheren Medaillenfarbe.
Im Vierer Kunstradfahren kommt es wieder zum Schlagabtausch zwischen Deutschland und der Schweiz. Die Titelverteidigerinnen Milena Schwarz, Tijem Karatas Annika Rosenbach und Stella Rosenbach (Mainz-Ebersheim) gehen mit neuen Rekorden mit viel Selbstbewusstsein ins Rennen, dürfen sich aber keinerlei Fehler erlauben.
Denn dicht auf den Versen mit nur vier Zehntel weniger in der eingereichten Kürschwierigkeit liegen Flavia Schürmann, Carole Ledergerber Stefanie Moos und Vanessa Hotz (Schweiz).
Dahinter ist Österreich auf Bronze programmiert, denn der Vorsprung auf das Quartett aus Frankreich beträgt mehr als 70 Punkte. Nicht dabei ist das Team aus Hongkong, welches sich vergangenes Jahr die Bronzemedaille abholte, tritt nicht an, so dass wieder nur vier Teams dabei sind.
Live-Ergebnisse unter: uci.org/race-hub/2023-uci-indoor-cycling-world-championships
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